Literatur-PortugalPortugiesische Literatur in Óbidos entdecken
15. Mai 2014
„Heute nehme ich einen Band José Saramago und ein Kilo frische Misteln“ – Im Mercado Biológico von Óbidos zerfließen die Grenzen zwischen Obst, Gemüse und Literatur. Hier liegen die Bücher in Orangenkisten und das Gemüse, liebevoll auf einem großen Tisch ausgebreitet, garniert den Lesegenuss.
Literatur trifft Obst und Gemüse
Bis hinauf zur Decke wurden die Obstkisten als Bücherregale an die Wände genagelt. Selbstgemalte Schilder in verschnörkelter Schreibschrift geben Auskunft über den Inhalt: Poesie, Theater, afrikanische Literatur, portugiesischer und brasilianischer Literatur, Chemie, Physik, Kinderbücher. In den Buchhandlungen in Óbidos wird jeder fündig und bekommt Appetit auf mehr …
Óbidos: „Die Stadt der Königinnen“
Seit einem Jahr ist Óbidos die „Vila Literária“ – die Literaturstadt. Die mittelalterliche Kleinstadt Óbidos liegt im Zentrum von Portugal. Nur eine Stunde nördlich von Lissabon gelegen, hat der Ort mit seiner komplett erhaltenen und begehbaren Stadtmauer eine lange und große Geschichte: Gegründet im 5. Jahrhundert, wurde sie von den Mauren ab 711 neu befestigt. Nach der Reconquista, der christlichen Wiedereroberung, durch D. Afonso Henrique, erhielt sie 1150 Stadtrechte. Der König Alfons II, der dritte König von Portugal, schenkte Óbidos schließlich seiner Frau Urraca zur Hochzeit im Jahr 1208. Viele Könige danach wiederholten den Brauch, weshalb Óbidos auch „Vila das Raihnas“ – die „Stadt der Königinnen“ – genannt wird.
Die Literaturstadt Óbidos
Literatur in Óbidos zu einem Aushängeschild zu machen, ist das Ziel der Initiative „Ler devagar“ – „Lese Langsam“. Vor einem Jahr ist Buchladen Realität geworden. „Im Sommer haben wir den Buchladen in dieser Kirche eröffnet“, sagt Ana, die das Projekt seit Jahren aktiv begleitet. Sie zeigt vom Eingang der Kirche Igreja de São Tiago aus dem 12. Jahrhundert in den Innenraum: Regale und Bücher, wohin man sieht: auf den Bänken, um das Taufbecken, auf dem Altar, unter den Fresken in den Seitenschiffen. Ein schwäbisches Rentnerehepaar wendet sich erschüttert ab: „Das sieht ja fest installiert aus, das kann doch nicht wahr sein.“ Ist es aber: Die Kirche werde schon seit Jahren für die unterschiedlichsten weltlichen Veranstaltungen genutzt, erzählt Ana. „Wir wünschen uns, dass die Literatur einen neuen, großen Stellenwert in Óbidos bekommt, dass sie zur Hauptperson der Stadt wird.“
Literatur verbindet: Bücher für Einheimische und Touristen
Kurz nach der Eröffnung der Buchhandlung in der Kirche, wurde der Mercado Biológico eingeweiht: Hier hängen die Orangenkisten bis unter die Decke, gefüllt mit Literatur aus der ganzen Welt. „Wir arbeiten mit Antiquariaten zusammen und kaufen die gebrauchten Bücher bei ihnen auf“, beschreibt Ana die Strategie von Ler Devagar. „So können wir neben den neuen Büchern auch billigere verkaufen und neue Menschen versuchen, für Literatur zu begeistern. Auch für die vielen Touristen in Óbidos gibt es eine riesige Auswahl: „Wir haben extra Bücher auf Englisch, Spanisch, Deutsch und Französisch, darunter natürlich auch Übersetzungen portugiesischer Literatur sowie Reise- und Wanderführer zu Portugal.“
Elf Buchhandlungen in Óbidos
Insgesamt elf Buchhandlungen gibt es bereits in Óbidos: neben der Kirche und dem Mercado werden Bücher in den Galerien Pelourinho und Nova Ogiva, dem Postamt, der Grundschule, und anderen. Im Sommer 2014 wird noch eine weitere Buchhandlung eröffnen: „Sie ist wie eine Weinbar mit Büchern. Man kann dort portugiesischen Wein probieren, eine Kleinigkeit essen und sein Buch dort gemütlich lesen oder einfach nur die Atmosphäre genießen.§ Für Ana ist der beste Ort der Welt immer dort, wo es Bücher gibt.
Auch ich kann mich der gemütlichen Atmosphäre der Buchhandlungen nicht entziehen und kaufe den Roman von Ondjaki §AvóDesanove E O Segredo Do Soviético§ – auf Deutsch: „Großmutter 19 und das sowjetische Geheimnis“. Der Schriftsteller Ondjaki wurde 1977 in Luanda, der Hauptstadt Angolas geboren. In den „Geschichten von Luanda“ hat er seiner Heimat ein Denkmal geschaffen. Seine Bücher sind auch Deutsch erschienen.
Ein Abend in Óbidos
In Óbidos gibt es jedoch viel mehr: Durch die erhabene hohe Stadtmauer tritt man durch ein riesiges Tor in die Festungsstadt ein. Eine aufwendig gestaltete Fassade mit den berühmten blau-weißen portugiesischen Azulejos säumt den Weg. Hat hier auch eine Königin gewohnt? Die Rua Direita führt geradewegs von dem Tor zu der Bücher-Kirche de São Tiago. Enge, kleine Gassen führen links den steilen Hang hinauf und rechts über Treppen hinab. Souvenirgeschäfte säumen die Rua: Wolle aus der Serra da Estrela, den Hahn aus Barcelos, Wein aus dem Dourotal, portugiesische Schokolade, Azulejos und Keramik gibt es hier zu kaufen. Vor den zweistöckigen Steinhäusern blühen Callas und Rosen.
Der graue Granit bekommt in der Abendlicht einen goldenen Anstrich: Der späte Nachmittag ist der beste Zeitpunkt, um Óbidos kennenzulernen. Wir trinken einen „Ginja de Óbidos“, den Becher aus Schokolade kann man gleich mitessen – er schmeckt herrlich. „Beba o Ginja e coma o copo“ lautet der Werbespruch. Der Kirschlikör ist eine der Spezialitäten von Óbidos. Beschwingt steigen wir die Treppen zur Stadtmauer hinauf und genießen den Blick hinüber zur Burg. Der Spaziergang führt über die Mauer an den Wehrtürmen vorbei. Eine Aussicht über die mittelalterliche Stadt ist schöner als der nächste. Das Restaurant „Cozinha das Rainhas“ – „Küche der Königinnen“ liegt versteckt direkt an der Stadtmauer: hier gibt es wunderbare portugiesische Spezialitäten: Travesseiros Reais, Ziegenkäse mit Kräuterkruste und ein Bacalhao das Rainhas. Drei kleine Fischfilets sind abwechselnd mit Blattspinat zu einem Turm aufgeschichtet und mit einer Kräuterkruste überbacken.
Reisetipps für Óbidos:
Hotel: Vila d’Óbidos liegt außerhalb der Stadtmauern. Es bietet aber einen Panoramablick von der Terrasse auf die Festungsstadt und ist absolut ruhig. Im Hotel werden Werke von portugiesischen Künstlern ausgestellt.
Hotel und Restaurant: Die Cozinha das Rainhas gehört zu dem Hotel Casa das Rainhas in Óbidos. Das vier Sterne Boutique Hotel bietet eine der besten Küchen der Stadt mit portugiesischen Spezialitäten.
Restaurant: Tasca Torta: Die kleine Kantine in der Rua Direita bietet leckere Kleinigkeiten und guten Wein. Humor beweist der Wirt mit der Wahl des Namens: Die Tasca, die eigentlich keine ist, sie ist „tora“, denn eigentlich ist sie viel mehr als nur eine einfach Tasca. tascatorta@sapo.pt
Souvenirs: Ein Buch und eine Flasche Ginja de Óbidos
Text und Bilder: Miriam Eckert